Herbst: Argo
Alban Nikolai Herbst:
»Argo. Anderswelt«
Epischer Roman
2013, geb., 872 S.
€ 39 [D] / € 40,20 [A] / sFr 47
ISBN 978-3-941184-24-4
Bestellung

Buch

Fünfzehn Jahre nach ihrem Beginn findet Herbsts Trilogie ihren Abschluss: ein stroboskopisch halluzinierendes Panoptikum aus postapokalyptischem Cyberpunkterror mit Rückkopplung an ein Amalgam aus griechisch-keltisch-aztekischem Mythenschatz und moderner Popkultur. Von seiner Strahlkraft hat das Projekt nichts eingebüßt. – Nachdem sich die von Herbsts traditionsreichem Protagonisten Hans Erich Deters collagierte Megametropole »Buenos Aires« von ihrem Schöpfer abgenabelt und verselbständigt hat, wird sie von einem furchtbaren Anschlag erschüttert. Der Versuch, auf diese Attacke aus dem »Osten« zu reagieren und dem geheimnisvollen »zweiten Odysseus« auf die Spur zu kommen, das immer weiter voranschreitende Problem der zu Bewusstsein erwachenden programmierten Menschkopien sowie die größenwahnsinnig-messianischen Pläne des Präsidenten der »Anderswelt« – all dies kreist in seiner faszinierenden Unfasslichkeit irgendwie doch noch immer um das Café Silberstein in Berlin-Mitte: Dort gibt es zwar weiterhin gutes Sushi, allerdings hat man mittlerweile die bizarren Schweißkonstruktionen des Tacheles weggeräumt, die einst das Sitzmobiliar gebildet hatten. Immer noch sitzt Deters dort, in unserer »Realität«, und beginnt allmählich daran zu zweifeln, wer eigentlich wen erdacht hat. Eine zersplitterte Wirklichkeitserfahrung, die sich über drei parallele Zeiten und Welten erstreckt, die alle für sich beanspruchen, die »echte« zu sein, lässt einen fixen Realitätsbegriff bald obsolet erscheinen.
»Argo. Anderswelt« ist der dritte Teil einer Trilogie, die Alban Nikolai Herbst 1998 mit dem ›Fantastischen Roman‹ »Thetis. Anderswelt« eröffnete und 2001 mit dem ›Kybernetischen Roman‹ »Buenos Aires. Anderswelt« fortsetzte.

Autor

Alban Nikolai Herbst (geb. 1955) studierte Philosophie und Geschichte und arbeitete zeitweilig als Devisenbroker. Die literarische Bühne betrat er bereits als 26-Jähriger. Seit dem Erscheinen des Romans »Wolpertinger oder Das Blau« (1993) zählt er zu den wichtigsten deutschsprachigen Vertretern der postmodernen Literatur und wurde mit zahlreichen Stipendien und Preisen (u. a. Grimmelshausen-Preis) geehrt. 1998 erschien mit »Thetis« der erste Teil seiner sprachlich und kompositorisch außergewöhnlichen »Anderswelt«-Romantrilogie, die mit »Buenos Aires« 2001 ihre Fortsetzung fand und mit »Argo« abgeschlossen wird. Im Elfenbein Verlag erschien zudem »Die Illusion ist das Fleisch auf den Dingen« (2003) sowie der Gedichtband »Das bleibende Thier. Bamberger Elegien« (2011).

Auszug

Eine weite Totale über den Nullgrund. Langsam schwenkten wir das Panorama entlang. Der Fernsehturm ragte in den Hodnahimmel, und die Tour Eiffel stand schöner denn je. Wir sahen auf das vom Steinschlag dellige, sonst unbehelligte Dach der Charité im Norden, auf den Nachbau der versunkenen Akropolis. Auf das Museumsquartier am Hang darunter, seinen leuchtenden Quader darin. Daneben die KiesingerMoschee und hinter ihr, in wundervollem Grün, den in deutlich erkennbaren Schichten ansteigenden Kalemegdan-Park. Im Westen ragten die Orgelpfeifen La Villettes in langgestreckten Pilzen aus Rauch, vierfünf helle Säulen, die sich ausdehnten gegens Europäische Dach, doch sich noch unter ihm schlossen, dunkel und gebaucht. Die herrliche Kathedrale schließlich der Sagrada Familia, im Südwesten, dahinter, fast am Horizont und über Hunderte Arkologien hinweg, die strahlenden Pfeiler des die große Westbrache teilüberführenden Ponte 25 de Abril. Monte Carlo schließlich und der silbern funkelnde Messepalast, dann schon wieder, noch vor dem gläsernen Riesenschirm des Rheinmainer Hauptbahnhofs, der Fernsehturm. Man zoomte uns auf die République, aus deren Mitte gesichtslos die gerüchteumwobene Statue zur alten ECONOMIA, fortan Nullgrund geheißen, hinübersah. Er lag nun direkt unter uns: ein über nahezu sechzehn Quadratkilometer klaffender Trichter, weggeschlagene Wand, alles verwüsteter Tagebau, bis an die Sperren schäumte die grauschwarze Trümmerlagune des unreinsten Todes. Nicht einen einzigen Menschen, nicht mal versehrt, gab dieses schuttverschlackte Meer wieder her. Das Kameraauge sank hinab, wurde unscharf, als schliefe es ein. Das Fernsehbild verschwamm. Wurde langsam dunkel. Sehr langsam. Ein nächster Schnitt. Und Pontarlier, unter rotem Himmel das prunkend weiße Regierungsgebäude über den Bergen. Seine ewigen Rosenschütten. Daneben der Europarat, er nun schon halbmast beflaggt. In ergreifendem Piano erklang unsre Hymne. SCHNITT. Der Präsident. Ganz gefaßt. In einem schwarzen Anzug mit weißem Hemd und schwarzer Krawatte. Überm rechten Ohr die hodnische Klappe in der Form eines Ohrs; das sahen wir nicht, aber wußten es alle. Hinter dem Mann unser Wappen in Lapislazuli, das Gold unsre Sterne. Der Präsident bewegte sich kaum.

Pressestimmen

»Das letzte Radikalgenie? … Herbst hat sich mit seinen sinnlich-magischen Großepen der enthemmten Phantastik Zeile für Zeile aus der etablierten Literaturszene herausgeschrieben … Lies mich, ruft der alle Mythen verschaltende Großorganismus Internet, wie es die Texte Herbsts immer schon gerufen haben. Wir werden daran zugrunde gehen, aber wir können nicht anders.«
(Oliver Jungen, Frankfurter Allgemeine Zeitung)

»Die Anderswelt-Trilogie und ›Argo‹ im Besonderen sind getragen von dem ehrgeizigen Anspruch, das unvollendete Projekt der Moderne und Postmoderne zu Ende zu bringen … Mit der Anderswelt ist ein fiktionaler Kosmos entstanden, in dem es keine Unterscheidung zwischen digitaler und realer Welt, zwischen Mensch und Maschine mehr gibt … Mit dem ›Deutschen Buchpreis‹ kann ein solches Werk nicht rechnen. Den Leser, der sich mit Herbst mutig in diese ›Achterbahnfahrt der Imagination‹ stürzt, wie es im Roman einmal heißt, erwartet ein Leseabenteuer, wie es keines der vergleichsweise gemütlich auf den Schienen des Realismus gondelnden Bücher der Shortlist zu bieten hat.«
(Christoph Jürgensen, Volltext)

»Ein monumentaler Berlin-Roman, Science-Fiction, Parabel und kritischer Blick auf unsere Gesellschaft zugleich.«
(rbr, mare)

»Ein Autor, der sich für die Form ›Roman‹ noch einmal derart riskant in die Brust wirft, ist nicht zu beneiden – am Ende der Irrfahrt, wenn der dritte Band vollendet sein wird, aber vielleicht zu bewundern.«
(Dietmar Dath, Frankfurter Allgemeine Zeitung)

»Dieses ehrgeizige Vorhaben steht unter den epischen Unternehmungen der Gegenwart ziemlich einzigartig auf weiter Flur.« (Katharina Döbler, Die Zeit)

© 2013 Elfenbein Verlag

Startseite