Es war die Zeit, als "München leuchtete" (Thomas Mann). Auf einer Veranstaltung der soeben gegründeten "Gesellschaft für modernes Leben" trug am 29. Januar 1891 der junge Schriftsteller und Theaterkritiker Hanns von Gumppenberg eine Reihe von Parodien auf angesehene Lyriker des zurückliegenden Jahrhunderts "mit all der ulkenden Keckheit vor, die ihre Gattung verlangte, und entfesselte damit den verhaltenen Ingrimm der Reaktionären zu heftigem Protest" (Lebenserinnerungen). Zehn Jahre später erschienen die Parodien erstmals als Buch, das schon bald zahlreiche 'aktualisierte' Neuauflagen erlebte. In der hier zugrunde gelegten letzten zeitgenössischen Ausgabe von 1929 war die Versdichtung von der Romantik bis zum Expressionismus dem feinen, oft erst beim zweiten Lesen ins Auge fallenden Spott des kongenialen und manchmal provozierend ungerechten Parodisten preisgegeben.
Hanns Freiherr von Gumppenberg (1866-1928), der die Pseudonyme "Jodok" und "Immanuel Tiefbohrer" benutzte, veröffentlichte neben dem Dichterroß auch satirisch-parodistische Überdramen (1902) und antinaturalistische Weltanschauungsstücke. Früh schon wegen "fahrlässiger Majestätsbeleidigung" zu zwei Monaten Festungshaft verurteilt, ließ er sich nicht abschrecken, 1901 bei der Gründung des Münchner Kabaretts "Die Elf Scharfrichter" mitzuwirken.
Schwerer Unglücksfall
Urahne, Großmutter, Mutter und Kind
Sitzen neben einander vorm Ururspind
Auf dem Urstuhl, Großmutterstuhl, Mutterstuhl, Stühlchen.
Das Kind spricht: »Ich lob' mir mein Kinderspielchen.«
Die Mutter: »Ich bin so voll Mutterglück.«
Großmutter: »Den Großmutterstrumpf ich strick'.«
Urahne: »Mir ist so urahnungsvoll – «
Da stürzt das Spind mit Donnergeroll!
Erschlagen sind vom Ururspind
Urahne, Großmutter, Mutter und Kind.
nach Gustav Schwab
stammtisch der vorgeschrittenen
die hölzer schwedens harren auf dem tische
beflimmert von dem blendeglanz der birnen
und säfte warten schwül verführerische
zu röten feuchte längst erblaßte stirnen
die fahlen bärte formen sich bewußter
die augen tränen in verborgnen träumen
und durch das fenster zischelt der liguster
und heisern regens trübes gossenschäumen
wir schaun uns fragend in die leeren höhlen
und wissen nicht was wir uns sagen sollen
es netzt uns heilig mit gesparten ölen
ein weiheguß den wir nicht deuten wollen
nach stefan george
© 1998 Elfenbein Verlag
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