"Denk an mich, wenn du zwischen Telephon und Telegraph den Atem der großen Stadt hörst." Das sind die letzten Worte des einflussreichen Schwiegervaters, als er Oswald, der gerade in einem oberbayerischen Internat sein Abitur abgelegt hat, in der Feuilletonredaktion einer großen Berliner Zeitung abliefert. Bald hat Oswald den unsicheren Einstand des Adoleszenten hinter sich gelassen und im geschäftigen Leben des Berlin der zwanziger Jahre Tritt gefasst. Angezogen und abgestoßen von lebenslustigen, ehrgeizigen Frauen und in ständiger Konkurrenz zu seinem begabten Dichterfreund Manfred, mit dem ihn eine innige Hassliebe verbindet, verschwendet er Zeit und Geld im Milieu der Künstler und Journalisten, die im "Romanischen Café" und bei "Schwanneke" verkehren, und gerät in den Sog der Großstadt, der ihn unaufhaltsam aus der Bahn zu werfen droht. Peter de Mendelssohns Roman ist nicht nur Barometer, sondern gleichzeitig ein Mitgestalter des Lebensgefühls seiner Generation, die Flair und Hektik der Großstadt als Lebensumfeld zu bejahen beginnt. In der Aufbruchstimmung der Jugend mit ihrem Lebenshunger und dem unbeirrbaren Willen, die eigene Kreativität zum Erfolg zu machen, findet sich neben Zeitkolorit auch so manche Parallele zu unserer Zeit: Dabei sein muss man, immer in Bewegung. "In Berlin kann man aushalten oder ausreißen. Nur eines nicht: untätig sein."
Peter de Mendelssohn (1908-1982) wuchs als Sohn eines Goldschmieds in der Künstlersiedlung Dresden-Hellerau auf. Bereits während seiner Redakteurstätigkeit beim "Berliner Tageblatt" veröffentlichte er erste Texte. 1933 emigriert, baute sich Mendelssohn eine zweite Existenz als Journalist und Schriftsteller in Großbritannien auf. Nach dem Krieg war er Pressechef bei der Britischen Kontrollkommission in Düsseldorf, wohnte als Berichterstatter den Nürnberger Prozessen bei und half beim Aufbau des "Berliner Tagesspiegels und der "Welt". 1970 kehrte er nach München zurück, wo er bis zu seinem Tode lebte. Als Thomas-Mann-Biograph und Herausgeber von dessen Tagebüchern ist Peter de Mendelssohn in den siebziger Jahren bekannt geworden. "Fertig mit Berlin?", de Mendelssohns erster Roman, erstmals 1930 in Reclams Reihe "Junge Deutsche" erschienen eröffnet im Elfenbein Verlag eine Sammlung mit Berlin-Romanen aus der Spätzeit der Weimarer Republik.
Ich nahm ein Taxi und fuhr hinaus. Am Romanischen Café vorbei, an Schwanneke vorbei, an den Zeitungshändlern vorbei, an den kleinen Kokotten vorbei, an den Frierenden, am tauben Wurstwaren vorbei, Lietzenburger Ecke Uhland. Vorbei Berlin! Tiefe Stille empfing mich. Felix saß lang ausgestreckt in seinem Fauteuil, rauchte englische Zigaretten, Manfred, ein wenig zur Lampe gerückt, las ihm vor. Hier gehörst du auch nicht mehr hin - dachte ich, als ich das dunkle, friedliche Bild der beiden Versunkenen sah. Leise hängte ich Hut und Mantel hinter die Tür, setzte mich behutsam auf meinen alten Platz, Felix schob wortlos Zigaretten hin, Manfred las, Felix lauschte ehrlich hingegeben, ich brauchte zwei Minuten, um die neue Stimmung aufzunehmen, dann lauschte auch ich. Der unvergeßliche Abend aus dieser ganzen verwickelten, schönen, traurigen, schwierigen Zeit.
»Das Porträt einer Epoche, die rastlos um sich selbst kreiste und darüber alle Widerstandskraft verlor.«
(Jörg Magenau, Frankfurter Allgemeine Zeitung)
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