Im 200. Todesjahr Millers versammelt dieser Band erstmals sämtliche Gedichte des Ulmer Lyrikers. Er folgt der 1783 erschienenen Ausgabe letzter Hand. Die einfachen Strophen handeln von Schäferinnen und Verliebten, einsamen Tälern und Abendmonden – und herzzerreißender Freundschaft. Sie sind in all ihrer Eigenheit und Merkwürdigkeit Dokument jener Jahre zwischen 1772 und 1775, in denen eine kleine Gruppe von Studenten und Klopstock- Jüngern an der Göttinger Universität die Geburtsstunde der empfindsamen Lyrik feierte – und dabei Spuren hinterließ, die bis in die Werke der Klassiker und Romantiker hineinreichen. Ihr Ton und ihre Poetik, und damit auch die des produktiven »Nonnenlieddichters« Miller, klingen noch in den Werken Goethes, Mörikes und der Gebrüder Grimm nach.
Johann Martin Miller (1750–1814) ist vor allem als der Verfasser des seinerzeit größten Kassenschlagers nach Goethes »Werther« bekannt: die buchlange Klostergeschichte um den empfindsamen Jüngling Siegwart. Zunächst aber waren es aber seine Gedichte, mit denen der nachmalige Münsterprediger Miller, der 1772 den legendären Dichterbund des Göttinger Hain mitbegründete, das literarische Parkett seiner Zeit betrat. Dabei ist die Tanzfläche nicht das schlechteste Bild, möchte man mehr über Millers Lyrik und den ihr eigenen, liedhaften Ton sagen. So bekannte er dem Dichterkollegen Voß einst in Versform: »Mich Johann Martin Miller / Hat Liederton und Triller / Mama Natur gelehrt«. Und dafür stehen nicht zuletzt so prominente Zeitgenossen wie Mozart, Beethoven oder der berühmteste Bachsohn Carl Phillip Emanuel mit ihren Namen Pate, die den Miller’schen Versen in ihren einfachen Melodien bis heute noch Klang verleihen.
Die Zufriedenheit
Was frag’ ich viel nach Geld und Gut,
Wenn ich zufrieden bin!
Gibt Gott mir nur gesundes Blut,
So hab’ ich frohen Sinn,
Und sing’ aus dankbarem Gemüt
Mein Morgen- und mein Abendlied.
Da heißt die Welt ein Jammertal,
Und deucht mir doch so schön;
Hat Freuden ohne Maß und Zahl,
Läßt keinen leer ausgehn.
Das Käferlein, das Vögelein
Darf sich ja auch des Maien freun.
Und wenn die goldne Sonn’ aufgeht,
Und golden wird die Welt;
Und alles in der Blüte steht,
Und Ähren trägt das Feld;
Dann denk’ ich: Alle diese Pracht
Hat Gott zu meiner Lust gemacht.
Dann preis’ ich laut, und lobe Gott,
Und schweb’ in hohem Mut,
Und denk’: Es ist ein lieber Gott,
Und meint’s mit Menschen gut!
Drum will ich immer dankbar sein,
Und mich der Güte Gottes freun!
»Michael Watzka hat gut daran getan, nicht abermals eine Auswahledition zu veranstalten, sondern mit dem Neudruck von Millers eigener Sammlung eine nahezu vollständige Textgrundlage zur weiteren Beschäftigung mit seiner Lyrik vorzulegen … Watzkas sehr lesenswertes Nachwort ist die bisher eingehendste Diskussion der Poetik von Millers Lyrik … Es ist ein glücklicher Einfall Michael Watzkas, für seine Edition einen Titel zu wählen, der einer Selbstcharakteristik Millers in einem Gedicht an Johann Heinricht Voß entnommen ist.«
(Bernd Breitenbruch, Ulm und Oberschwaben)
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