Alexander Adamopoulos (geb. 1953 in Athen) studierte Regie, Jura und Soziologie. Er schreibt Erzählungen, Theaterstücke, Libretti und Drehbücher und ist Begründer der Jani-Christou-Gesellschaft in Athen, die sich der Pflege des Werks eines der bedeutendsten Vertreter der Neuen Musik in Griechenland widmet. Adamopoulos erfand das literarische Genre der »Lüge“, eine Kurzprosaform, die Elemente der Legende, der Parabel, der Satire und der Kindergeschichte kombiniert. Sein erster Erzählband »Zwölf und eine Lüge« (Originaltitel: « Δώδεκα και ένα ψέματα »; deutsch: Elfenbein, 2001) erschien auch in englischer, französischer, spanischer und türkischer Übersetzung; aus dem hier angekündigten zweiten Band, »Noch mehr Lügen« (« Ψέματα πάλι »), erschien 2012 ein Auszug in der Zeitung »Jungle World«.
Sie verfolgten das große Schiffeversenken unter wollüstigem Gegacker und applaudierten dazu auf eine alberne und mechanische Weise, als wollten sie Leben in ihre toten Hände klatschen.
So lief es jedes Mal ab.
Die Zuschauer streiften mit Kristallgläsern in der Hand und einem an den Ohren aufgehängten Lächeln ziellos umher und ließen sich in die weichen Sessel des Salons vor der großen Glasfront sinken, während sich aus verborgenen Winkeln, leeren Buchrücken, hohlen Statuen eine sterile, endlose Musik hervorschlängelte. Als der Applaus nachließ, die Erregung vorüber war, die Gesichter wieder ihr natürliches Grau angenommen hatten und sich nahezu niemand mehr bewegte, stieg sie hinter Buchrücken, durch hohle Statuen, aus künstlichen Blumen erneut empor und überflutete die Zimmer, die Tische, die dicken Teppiche, ja, selbst das letzte Molekül der eingesperrten Luft, die Musik, die immer da war, wenn eine schwierige Situation eintrat, in der ein Gast plötzlich wegen unaufmerksamer oder falscher Behandlung – was selten vorkam – mit seinem eigenen Ich konfrontiert wurde.
Unser Schiff war schön, schnell und stark, vor allem stark; eigens darauf angelegt, unser Ziel schneller und effizienter zu erreichen. Wir von der Besatzung mussten alles nicht so genau wissen; jeder hatte sein Fachgebiet. Im Grunde könnten wir auch irgendwann mal Fahrgäste sein, wir müssten nur für zwei, drei Tage bezahlen können.
Die Reisedauer wurde von Organisatoren kalkuliert, war jedoch nie kürzer als ein Wochenende. Wenn wir auf Reisen waren, wussten wir nicht, ob es Tag oder Nacht, warm oder kalt, Sommer oder Winter war. Alles war gleich geworden. Wir trieben immer nur kurz auf dem offenen Meer umher, bis die Passagiere sich kennengelernt hatten, und passierten dann Meerengen, Buchten und Landspitzen, wo kleinere Schiffe, wie Fischer- und Segelboote, alte Kähne, also das ganze schwimmende Elend der hiesigen Dorfbewohner, verkehrten.
Dann gab der Kapitän schnell und unerwartet ein Zeichen. Die ganze Besatzung sprang sofort auf, als ob jetzt gleich etwas geschähe, was außerordentlich schwierig und kaum einzuschätzen und wofür eine Spezialausbildung für Notsituationen, etwa in der Größenordnung eines Weltuntergangs, erforderlich war. Nach jedem erfolgreichen Coup bliesen sie sich vor lauter Stolz auf wie Pfauen, ihre gläsernen Augen strahlten und ihr Blendax-Lächeln blitzte. Ihr Stolz und ihre Begeisterung sollten in erster Linie professionell wirken und sich auf die Gäste übertragen. Sie öffneten ein paar goldene Knöpfe an ihrer Uniform, um nicht an den vielen Toasts zu ersticken, während sie die Schiffe, die unseren Weg kreuzten, systematisch versenkten.
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»Die Wahrheit braucht die Lüge. Sie muss sich verstellen, damit man sie bemerkt. In dieser Form zu lügen zeugt von beharrlichem Optimismus ...«
(Franz Schneider, Rhein-Neckar-Zeitung)
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