Angelpunkt des Romans ist der 13. Dezember 1943, an dem die deutsche Wehrmacht als sogenannte »Sühnemaßnahme« für Partisanenüberfälle die gesamte männliche Bevölkerung des griechischen Bergdorfs Kalavryta auf der Peloponnes ermorden ließ. Anders als das französische Oradour-sur-Glane, das der Nachwelt vollständig als Ruine erhalten blieb, wurde Kalavryta von den zurückgebliebenen Frauen über den Trümmern wiederaufgebaut.
Stefanopoulous Roman stellt das Trauma der Überlebenden in der Perspektive von vier Frauen dar; sie repräsentieren die Auseinandersetzung mit dem Erinnern über die Generationen: die Großmutter, die in ihrem Hass auf Deutsche wie auf Partisanen und in ihrer Trauer um Mann und Sohn verstummt ist; die Tochter, die in der Großstadt alles vergessen will; die Enkelin, die nach Kalavryta zurückkehrt; und die Urenkelin, die sich schließlich aus dem Zirkel der Trauer lösen kann.
Die Übersetzung wurde durch das Auswärtige Amt aus Mitteln des Deutsch-Griechischen Zukunftsfonds ermöglicht.
Maria Stefanopoulou (geb. 1958) lebt in Athen. Sie studierte klassische und moderne Literatur in Rom und zog dann nach Paris, wo sie begann, in ihrer Muttersprache zu schreiben. Sie hat bereits drei Erzählbände sowie ein Theaterstück und mehrere Essays zu Literatur und Geschichte veröffentlicht. »Athos der Förster« (2014 im Original erschienen) ist ihr erster Roman, für den sie den Petros-Charis-Preis der Athener Akademie erhielt.
Michaela Prinzinger hat im Rahmen des Programms TOLEDO der Robert Bosch Stiftung und des Deutschen Übersetzerfonds ein Arbeitsjournal zu ihrer Übersetzungstätigkeit an dem Roman »Athos der Förster« geführt: TOLEDO-Arbeitsjournal
»Der Übersetzung gelingt es … einen kulturellen, und hier: historischen Dialog herzustellen …« (Eva Erdmann, der Freitag)
Als Marianthi zum ersten Mal in den Wald von Vityna kam, fiel ihr Blick gleich auf mein Barett, das dem eines Marinesoldaten glich und zur Uniform eines Jungförsters gehörte. Zusammen mit anderen Absolventen des Jahrgangs 1930/31 feierte ich damals den Abschluss an der Lehranstalt für Forstwirtschaft und die sofortige Einstellung der zwei Jahrgangsbesten am Staatlichen Forstamt; das betraf mich und einen Kommilitonen, obwohl wir beide unseren Wehrdienst noch nicht abgeleistet hatten. Zu unserer großen Freude mussten wir sonst kein Aufnahmeverfahren durchlaufen. Marianthi war mit ihren Mitschülerinnen der Webwerkstatt dazugestoßen, um — ganz ohne Begleitung — auf einem ersten spontanen Ausflug den Sommer willkommen zu heißen. Obgleich sie, gut gekleidet, zurückhaltend und mit vornehmen Umgangsformen, wie ein Mädchen aus der Stadt wirkte, zeigte sich rasch, wie vertraut und kühn ihr Verhältnis zur Natur war. Ihre Halbschuhe füllten sich mit Erde, als sie im Spiel mit den Freundinnen zwischen den Bäumen umherlief, ihr Kleid wurde schmutzig, ihre Haarbänder lösten sich, so dass ihr die Locken über die Schultern fielen und ihr Gesicht zur Hälfte geheimnisvoll verhüllten. Kaum waren wir ins Gespräch gekommen, vertraute sie mir an, dass sie zwar in Valtesiniko in einer Baumhöhle zur Welt gekommen war, aber seither keinen Wald mehr betreten hatte. Dennoch schien es — seltsamerweise —, als hätte sie ihr ganzes Leben dort verbracht. Sie konnte ihr Lachen über mein Barett nicht unterdrücken und fragte sich, was diese Matrosenmütze mit der Forstverwaltung zu tun habe. Am Schluss der Unterhaltung behauptete sie steif und fest, es gebe Bäume, die im Meer wuchsen.
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