»Rule, Britannia! Britannia, rule the waves!«, so schmetterte das Triumphlied der stolzen britischen Weltmacht auf allen Meeren, um die Hegemonie jenes Empires zu verkünden, das der Welt den Five o’Clock Tea brachte. Aber für den aufmerksamen Beobachter waren bereits bedeutungsvolle Risse in diesem Bild zu erkennen: Der junge König dankt wegen einer geschiedenen Frau ab, Mahatma Gandhi mobilisiert barfuß die Massen Indiens, und England verliert zum x-ten Mal die Fußballweltmeisterschaft … Vor allem aber erschütterte ein bisher nie gehörter Skandal das Selbstbewusstsein der englischen Elite, die es verstand, die Geschichte bis heute geheimzuhalten. P. Howard aber erzählt sie: Eine kleine Truppe verwegener Hafendesperados unter der fachmännischen Leitung von »Fred Unrat, dem Kapitän«, den die Leser bereits aus dem Roman »Ein Seemann von Welt« kennen, stiehlt den Panzerkreuzer »Radzeer«, um in Burma einen englischen Offizier und Erfinder aus den Klauen der Fremdenlegion zu befreien. Zu diesem Zweck eine »Aktiengesellschaft« zu gründen ist die Idee des jungen rothaarigen Schmugglers »Rostig«, der sich in einer Seemannspinte von Piräus in »Bubi«, die Schwester des Erfinders, verliebt …
»Ein Seemann und ein Gentleman« (Originaltitel: »Az elveszett cirkáló«, 1938), dieser genial verwickelte, ironische Abenteuerroman, ist der erste in jener legendären Kette weltumspannender Gaunergeschichten P. Howards, die noch nach sechzig Jahren Furore machen.
Unter dem Pseudonym P. Howard (1905–1943) veröffentlichte Jenő Reich alias Jenő Rejtő im Budapest der 30er Jahre seine unnachahmlichen ironischen Geschichten, die in Ungarn bis heute ungezählte Neuauflagen erlebt haben. Seine absurden Dialoge sind die einzigartige Würze der Romane Jenő Rejtős. Nicht weniger abenteuerlich tragikomisch war seine Lebensgeschichte: Aus kleinbürgerlichen Verhältnissen stammend, wollte er nach dem Abitur Schauspieler werden, brach die Ausbildung aber ab, um durch die Welt zu streunen. In Afrika wurde er angeblich Fremdenlegionär, und mit 28 Jahren verschlug es ihn wieder nach Hause, wo er mit seinen Romanen immer erfolgreicher wurde. Der Verlag Nova riet ihm zu einem englischen Pseudonym – so wurde aus Jenő Rejtő P. Howard, ein Parodist von Abenteuer- und Kriminalromanen. Während des Krieges wurde er von den Nazis zum Arbeitsdienst nach Woronesch (Ukraine) deportiert, wo er am Neujahrstag 1943 erfror. In Ungarn zählt P. Howard, der Meister des Katastrophenwitzes, zu den beliebtesten Schriftstellern.
In den kongenialen Übersetzungen von Vilmos Csernohorszky jr. erschienen
bereits die Romane:
»Ein Seemann von Welt« (2004)
»Ein Seemann in der Fremdenlegion« (2012)
»Ein Seemann und ein Musketier« (2014)
»Ein Seemann aus der Neuen Welt« (2016)
Er war der seltsamste junge Mann, den sie je gesehen hatten. Und wenn man bedenkt, dass sein Hals gerade in den Pranken des Krokodils steckte, verhielt er sich sogar ausgesprochen ruhig. Es kann aber auch sein, dass er schon erstickt war und deshalb so unbeweglich und mit geschlossenen Augen, den Hals zwischen den riesigen Händen des Krokodils eingekeilt, seinen für den Augenblick unbequemen Zustand erduldete. Gegenüber der »Tischgesellschaft der Scharfrichter«, deren Kassenwart das Krokodil war, standen scheinbar gleichgültig, trotzdem in einer gewissen Erwartungshaltung, die drei Psychotherapeuten. Ihren Namen verdankten sie dem Verschwinden zweier Matrosen der französischen Kriegsmarine. Die beiden Seeleute hatten früher die Angewohnheit, seitens obiger dreiköpfiger Gesellschaft erbeutetes Diebesgut regelmäßig auf dem Kreuzer »Maréchal Joffre« weiterzubefördern, und zwar ohne Wissen der Vorgesetzten, versteht sich. Eines Tages aber waren sie einfach abgesegelt, ohne den Gegenwert der Ware auszuhändigen. Ihr Schiff befand sich nämlich für längere Zeit in den indischen Gewässern. Nach einem Jahr waren sie bar jeglichen Argwohns zurückgekehrt, vertrauten sie doch auf die menschliche Vergesslichkeit. Die drei Schmuggler hatten sich jedoch nicht als zerstreut erwiesen, so dass sich die Spur dieser leichtsinnigen Matrosen verlor. Es heißt, vorher hätten die Geschädigten die Matrosen überredet, sich über das Versteck der mitgebrachten Schmuggelware zu äußern. Die beiden Matrosen pflegten nämlich Schmuggelware nicht nur zu exportieren, sondern auch zu importieren. Es heißt auch, einer von ihnen sei im Laufe der von den Psychotherapeuten zwecks besserer Erinnerung verabreichten Entspannungsübung gestorben. Der andere jedoch habe seinen Assoziationen so weit freien Lauf gelassen, dass der Schaden der drei Schmuggler mittels einer größeren Menge Rauschgift, das in einem Boot versteckt war, ersetzt werden konnte. Seit dieser Zeit heißen die drei Herren »Psychotherapeuten«.
Die Tischgesellschaft der »Scharfrichter« entfaltete ihre gemeinnützige Tätigkeit zugunsten stellungsloser Matrosen, was insofern nicht ganz selbstlos war, als die Masse der Hilfsbedürftigen von den Mitgliedern ebendieser Gesellschaft gestellt wurde. Die Tischgesellschaft war im Grunde ein Selbsthilfeverein – und das im engeren Sinne des Wortes, insofern man sich selbst half, und zwar ungeachtet der diesem Zwecke dienlichen Mittel, seien es Stemmeisen oder Messer …
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